Psychosomatische Erkrankungen
Epidemiologische Studien belegen, dass mindestes 1/3 ärztlicher Inanspruchnahme auf seelische Störungen (z.B. Depression und Angsterkrankungen, Arolt 2004), funktionelle Beschwerden (Somatisierungsstörung) sowie Folgeerkrankungen eines problematischen Lebensstils (Alkohol- und Nikotinmissbrauch, falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Vereinsamung etc.) zurückgehen.
Psychosomatisches Denken gründet auf einer umfassenden Sichtweise und einem bio-psycho-sozialen Verständnis der Erkrankung des Patienten/der Patientin. Die symptombezogene Behandlung prägt den medizinischen Alltag und ist in vielen Fällen erfolgreich. Bei den chronischen Erkrankungen (psychisch und körperlich) greift dieser Ansatz zu kurz.
Das psychosomatische Vorgehen zeichnet sich durch eine veränderte Herangehensweise an den Patienten/der Patientin aus:
Erfasst werden nicht nur die körperlichen und psychischen Beschwerden des Patienten/er Patientin, sondern auch die Lebenssituation, in der der Patient/die Patientin sich heute befindet bzw. damals war, als die Beschwerden auftraten. Darüber hinaus erkundigen wir uns nach der Lebensgeschichte, weil hieraus häufig erst das Entstehen bestimmter Beschwerden verständlich wird und der Charakter und die Erfahrungen eines Menschen wesentlich für die Bewältigung von Krankheit sind.
Essstörungen
Essstörungen zählen bei Mädchen und jungen Frauen zu den häufigsten Störungsbildern. Man unterscheidet grob und etwas vereinfachend zwischen Magersucht, Bulimie, Binge Eating und verschiedenen Mischformen. Bei fast allen kreisen die Gedanken nur noch um das Essen. Körpergewicht und Proportionen bekommen eine völlig überwertige Bedeutung und können häufig nur noch verzerrt wahrgenommen werden (man nennt das Körperschemastörung).
Wenn man das Körpergewicht nicht nur subjektiv beurteilen will, braucht man einen objektiven medizinischen Bezugspunkt. International durchgesetzt hat sich hierzu der Body-Maß-Index (BMI), der mit einer etwas komplizierten Rechenformel das Körpergewicht und die Körpergröße miteinander in Bezug setzt.
Berechnung des BMI
Gewicht in kg : Körpergröße in m : Körpergröße in m
z.B. für eine Frau mit einem Gewicht von 50 kg und einer Größe von 1,70 m wäre dies:
50 : 1,7 : 1,7 = BMI 17,3.
Zu den Krankheitsbildern zählen
Anorexia nervosa (Magersucht)
Hierunter versteht man eine durch selbstgesteuerte Mangelernährung betriebene Gewichtsabnahme auf einen BMI von 17,5 oder darunter, meist begleitet von zusätzlichen Maßnahmen, die das Gewicht niedrig halten sollen. Hierzu zählen z.B. Erbrechen, übertriebene Bewegung und der Missbrauch von Abführmitteln. Die Körperwahrnehmung ist verzerrt, oft existiert kein Krankheitsgefühl. Die Frau aus dem obigen Rechenbeispiel wäre vom Gewicht her anorektisch. Voraussetzung für die Aufnahme auf unserer Station ist ein BMI von mindestens 15. Bei einem so gefährlich niedrigen BMI müssen wir sofort mit der Patientin/dem Patienten gewichtssteigernde Maßnahmen in Gang bringen. Bei deutlich geringerem BMI kann nach Absprache kann in besonderen Fällen eine Behandlung in der hiesigen VITREA Klinik Bad Berleburg helfen, das geforderte Aufnahmegewicht zu erreichen.
Bulimia nervosa
Eine Bulimie ist gekennzeichnet durch Heißhungerattacken mit Kontrollverlust und anschließendem Erbrechen, oft auch durch zusätzliche Einnahme von Abführmitteln. Das Gewicht ist häufig normal, manchmal auch durch die enormen Nahrungsmengen erhöht, zeitweise auch erniedrigt. Die begleitende Scham über die Symptomatik bringt Heimlichkeiten mit sich, die z.B. Beziehungen oder die berufliche Situation sehr belasten können. Der offene Umgang über die Thematik mit den anderen Patientinnen und Patieten auf der Station kann sehr zur Entlastung beitragen und wird oft als befreiend erlebt.
Binge Eating
Mit diesem englischen Begriff beschreibt man Heißhungerattacken ohne anschließende Gegenregulation (z.B. extreme Formen des "Frustfressens“). Übergewicht ist hier die fast zwangsläufige Folge.
Mischformen
Viele Patientinnen und Patienten leiden nicht nur unter einer Form der Essstörung, sondern haben z.B. Heisshungerattacken bei einer bestehenden Anorexie ("Bulimarexie“). Im Laufe des Lebens vermischen sich die Störungsbilder oft oder gehen ineinander über. Auch aus anderen psychischen Ursachen heraus können sich Essstörungen entwickeln, z.B. im Rahmen einer depressiven Erkrankung oder einer Persönlichkeitsstörung.
Adipositas
Von einer Adipositas spricht man ab einem BMI über 30. Für adipöse Patientinnen und Patienten haben wir eine eigens dafür ausgelegte Station bis zu einem Gewicht von 180 kg. Insbesondere die Auseinandersetzunng mit der Adipositas unter den Patientinnen und Patienten sorgt dafür, dass zuvor häufig sehr geringe Selbstwertgefühl im Rahmen der Behandlung aufgebaut wird. Auch führen die positiven Erfahrungen innnerhalb der Rehabilitation zu einem offenen Umgang untereinander, welcher auch nach außen spürbar wird.
Unser Umgang mit Essen
Wir besprechen zu Beginn der Behandlung, welche Kostform für die Patientin/den Patienten angemessen ist. Vegetarische Ernährung ist möglich. Um Alltagsnähe zu erhalten, werden die Mahlzeiten im gemeinsamen Speisesaal von einem Buffet eingenommen.
Erfahrungsgemäß sind allerdings essgestörte Patientinnen und Patienten manchmal mit dem großen Nahrungsangebot eines Buffets überfordert, so dass wir beim Auftreten von Schwierigkeiten portioniertes Essen mit Service am Tisch anbieten. So können die Patientinnen und Patienten vom Gang zum Buffet entlastet werden. Wir arbeiten jedoch darauf hin, dass die Portionierung möglichst nur übergangsweise erfolgt, um nicht die Realitätsnähe gänzlich einzubüßen und versuchen, gemeinsam mit der Patientin/dem Patient andere Stützungsmöglichkeiten als den Rückzug zu erarbeiten. Zusätzliche Zwischenmahlzeiten helfen bei der Strukturierung der Mahlzeiten und beim Erreichen der jeweils individuell abgesprochenen Gewichtsziele. Die Zwischenmahlzeiten können auch gemeinsam mit den Schwestern der Station eingenommen werden. Gewogen wird auf der Station. Die Häufigkeit schwankt nach Absprache und Notwendigkeit zwischen einmal in der Woche bis täglich.
Absprachen über das Essverhalten werden mit den einzelnen Patientinnen und Patienten im Rahmen des psychotherapeutischen Einzelgesprächs individuell festgelegt und im Behandlungsverlauf gemeinsam bewertet und verfolgt. Selbstverständlich berücksichtigen wir bei den Absprachen auch die Zielvorstellung des Patienten bzw. der Patientin, solange dies medizinisch zu verantworten ist.
Es ist entscheidend, einen bloß künstlichen Anpassungseffekt an die Erwartungen der Klinik zu vermeiden und die Übertragbarkeit des veränderten Essverhaltens zu gewährleisten. Zum einen muss das Gewicht letztlich von der Patientin bzw. dem Patienten innerlich akzeptiert werden können, um eine erneute Abnahme bzw. Zunahme zu vermeiden (Körperschemastörung). Zum anderen hat das krankhafte Essverhalten meist eine Funktion im Leben der Patientinnen, die erst durch die Entwicklung neuer Lösungsstrategien außer Kraft gesetzt werden kann (z.B. Aufbau von Selbstbehauptung oder gesunder Entlastung von innerem Druck). Insofern legen wir großen Wert darauf, solche Verhaltensalternativen gemeinsam zu entwickeln und möglichst schon während der Behandlung auszuprobieren.
Der Behandlungsablauf
Nach der Anreise werden die Patientinnen und Patienten von der Pflegefachkraft begrüßt und auf ihr Zimmer geführt. Noch am Aufnahm,etag erfolgt die körperliche Untersuchung durch unsere ärtzlichen Kollegen und Kolleginnnen. Spätestens am kommenden tag erfilgtzusätzlich das erste Einzelgespräch mit dem Bezugstherapeuten7 der Bezugstherapeutin. Der Umgang mit Essen wird bereits in diesem ersten Gespräch thematisiert, um möglichst schnell ungünstige Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern. In engerr Zusammenarbeit mit unseren Ökothrophologinnen werden Sie hinsiochtlich Ihrers Essverhaltens beraten und geschult, beispielsweise im Rahmen der Kochgruppen.
Auf der Station gibt es ein Patensystem, d.h. eine Mitpatientin/ein Mitpatient erklärt sich bereit, der "Neuen“/dem "Neuen" erste Fragen zu beantworten, das Haus zu zeigen und bei der ersten Kontaktaufnahme mit den anderen zu helfen. Da das erste Treffen mit der "Patin"/dem "Paten“ oft im Aufenthaltsraum der Station erfolgt, lernt man die Neuen schnell kennen und fühlt sich nicht mehr so alleine. Die ersten Tage sind zumeist ausgefüllt von organisatorischen Dingen, die erledigt werden müssen und davon, dass man sich als „Neue“/"Neuer" auch akklimatisieren muss. Am Ende der ersten Woche lernen Sie das gesamte Behandlungsteam kennen und erhalten den auf Sie abgestimmten Therapieplan.
Untergebracht sind die Patientinnen und Patienten in Einzelzimmern mit Dusche, Telefon und Kabelanschluss.
Chronische Hauterkrankungen
Psychiatrische Rehabilitation
fallen besonders im akuten Stadium durch kognitive Veränderungen auf. Häufig ist der Bezug zur Realität verloren gegangen. Wahnvorstellungen und Halluzinationen können das klinische Bild beherrschen („Plussymptomatik“). Manche Patienten leiden unter Missempfindungen, die wahnhaft verarbeitet werden oder die Körperbeweglichkeit ist eingeschränkt. Die Patienten führen nicht mehr Regie im eigenen „Ich“, erleben sich manipuliert und beeinflusst und kämpfen verzweifelt um die Aufrechterhaltung ihrer Identität. Im weiteren Verlauf können Einschränkungen in Konzentration, Antrieb, Durchhaltevermögen und im Gefühlsleben auftreten („Minussymptomatik“), denen man durch eine frühzeitige und kontinuierliche Therapie meist gut begegnen kann. Bipolare Störungen (Affektive Psychosen)
äußern sich als phasenweises Auftreten einer Depression oder (Hypo-)Manie. Die Störung im Bereich des gefühlsmäßigen Erlebens äußert sich auf der einen Seite in einer Verminderung des Antriebs, der allgemeinen Befindlichkeit, in körperlichen Beschwerden, bis hin zur völligen inneren Leere und wahnhaften Verarbeitung bei der Depression. Auf der anderen Seite steht die manische Störung mit gesteigertem Antrieb, Ruhe- und Rastlosigkeit, Kritiklosigkeit, dem Gefühl unbegrenzter Leistungsfähigkeit, Größenideen und Selbstüberschätzung. Schizoaffektive Psychosen
treten wie affektive Psychosen oft in Phasen auf und enthalten auf der Symptomebene Elemente der affektiven und der schizophrenen Psychosen. Rehabilitationsziele Übergeordnete Ziele der Rehabilitation sind die Verbesserung der Krankheitsbewältigung und die Förderung bzw. Sicherung der Teilhabe des Rehabilitanden am sozialen Leben mit einem Schwerpunkt auf der Erwerbsfähigkeit. Für die Rehabilitanden ist es eine große Hilfe, wenn sie sich auch wieder ihrer (verbliebenen) Fähigkeiten und Ressourcen bewusst werden (Grawe, Grawe-Gerber 1999).
- Spezielle Therapieziele sind:
- Förderung der Krankheitseinsicht und der Akzeptanz erforderlicher therapeutischer Behandlungsmaßnahmen (Aufbau und Erhalt der Behandlungsmotivation)
- Optimierung der psychopharmakologischen Medikation
- Auseinandersetzung mit der Erkrankung in Bezug auf die beruflichen, sozialen und persönlichen Perspektiven
- Förderung von Kompetenzen und Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit der Erkrankung (Krisenmanagement, Umgang mit persistierenden Symptomen, Selbsthilfegruppen, Behandlungsvereinbarungen)
- Förderung der sozialen Kontaktfähigkeit zur besseren Teilhabe am sozialen Leben (Modifikation dysfuntkionaler Kognitionen und problematischer Interaktionsmuster)
- Klärung der Leistungsfähigkeit als Voraussetzung ggf. notwendiger weiterer Therapiemaßnahmen (z.B. berufliche Rehabilitation, Psychotherapie, sozialpsychiatrische Betreuung etc.